19.10.2016

Beziehungspflege in Addis Adeba


18. Oktober 2016

Wie im LUMAG-Artikel „Flagge zeigen in Addis Adeba“angekündigt, hat Ulf Engel, Afrikanistik-Professor an unserer Universität, in der vergangenen Woche einen Termin mit Kanzlerin Angela Merkel in der Hauptstadt Äthiopiens wahrgenommen. Dabei stand die Eröffnung des „Peace and  Security“-Gebäudes der Afrikanischen Union (AU) auf dem Programm. Unsere Universität verbindet mit der Addis Ababa University schon seit 1977 eine enge Partnerschaft, die von Ulf Engel maßgeblich gefördert wird. Im LUMAG berichtet er über seine Reise:

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vom 9. bis zum 11. Oktober 2016 eine Reise nach Afrika unternommen – die erste seit fünf Jahren. Dies allein zeugt von einer Neubewertung der sicherheits- und migrationspolitischen Herausforderungen auf dem afrikanischen Nachbarkontinent durch die Bundesregierung. Konkret besuchte die Kanzlerin Mali und Niger in Westafrika und Äthiopien am Horn von Afrika. Thematisch standen im Zentrum der Reise die Stabilisierung der Sicherheitslage in Mali, unter anderem auch durch die Beteiligung von bis 650 Bundeswehrsoldaten an der UN-Mission MINUSMA und der EU-Training Mission in Mali (EUTM), der Umgang mit Flüchtlingen aus Afrika, die den Niger zu Zehntausenden als Transitland bzw. die Stadt Agadez als Drehscheibe nach Europa nutzen, und schließlich die Einweihung des von Deutschland mit 31 Millionen finanzierten Gebäudes für Frieden und Sicherheit am Sitz der Afrikanischen Union (AU) in Addis Abeba <http://www.peaceau.org/en/article/statement-by-the-chairperson-of-the-au-commission-he-dr-nkosazana-dlamini-zuma-on-the-occasion-of-the-official-inauguration-of-the-julius-nyerere-peace-and-security-building-addis-ababa-11-october-2016>, Äthiopien – benannt nach dem ersten Präsidenten des unabhängigen Tansanias, Julius K. Nyerere, und in Zukunft Sitz des AU-Friedens- und Sicherheitsrates und anderer Einrichtungen der seit 2002 aufgebauten so genannten Afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur APSA.

Besondere Aktualität erhielt eine ebenfalls stattfindende Begegnung zwischen Kanzlerin Merkel und dem äthiopischen Premierminister Hailemariam Desalegn durch die Ausrufung des Ausnahmezustandes in Äthiopien am Vorabend des Besuchs. Die Regierung reagierte damit auf die seit über einem Jahr andauernden Unruhen und politischen Proteste in Teilen des Landes, die sich gegen die autokratische Regierung und die vermeintliche Unterdrückung einzelner Bevölkerungsgruppen richten. Die prekäre Menschenrechtssituation war dann auch Gegenstand eines längeren Gesprächs zwischen Kanzlerin und Premier sowie eines Dialoges zwischen Kanzlerin und Oppositionsvertretern.

Der sehr kurzfristigen Ausweitung der Reise auf Niger und Mali ist in Addis Abeba leider ein Programmpunkt zum Opfer gefallen, der einen weiteren Bezug der Bundeskanzlerin zur ihrer Alma mater hätte herstellen können: Die Begegnung und Diskussion mit Studierenden des Master- bzw. des Doktoranden-Programms, die seit 2012 gemeinsam vom Global and European Studies Institute (GESI) <http://gesi.sozphil.uni-leipzig.de/> unserer Universität und dem Institute for Peace and Security Studies (IPSS) der Addis Ababa University angeboten werden. Die Studierenden für die Studiengänge Master „Global Studies (with special emphasis on peace and security)“ und das Promotionsprogramm „Global and Area Studies“ werden von einer gemeinsamen Kommission ausgewählt. Die Studierenden beginnen ihr erstes Jahr in Addis Abeba, wo sie von Lehrkräften des GESI unterrichtet werden, um dann im jeweiligen Sommersemester nach Leipzig zu kommen. Die anschließenden Semester finden dann wieder in Addis statt und werden im Wesentlichen durch die Lehrkräfte des IPSS unterrichtet. Die Masterarbeiten bzw. Promotionen werden von Hochschullehrern beider Institutionen bewertet und führen zu Joint Degrees der beiden Hochschulen – im Juni 2016 haben die ersten vier Kandidaten aus Addis Abeba erfolgreich ihre Promotion in Leipzig verteidigt.

Beide Studienprogramme werden seit 2012 vom Deutschen Akademischen Auslandsdienst (DAAD) unterstützt. Diese Finanzierung läuft 2018 aus, dann sollen die Programme sich durch die bereits heute erhobenen Studiengebühren selbst tragen. Ob dies klappt, hängt auch davon ab, wie gut es gelingt, die Programme über Äthiopien und das Horn von Afrika hinaus als attraktiv darzustellen. Die wachsende Anzahl von Studierenden aus anderen Regionen Afrikas und sogar aus anderen Weltregionen (Europa, Japan) lässt hier hoffen – wobei die Relevanz dieser Studiengänge natürlich dem nach wie vor großem Problemdruck in weiten Teilen Afrikas und der dadurch bedingten Nachfrage sowohl nach einem hervorragend qualifizierten akademischen Nachwuchs wie auch von Praktikern im Bereich Frieden und Sicherheit geschuldet ist. Die Kernkompetenz der Absolventen, so das Ziel der Programmleitung, soll darin liegen, diese Fragen auch in ihrer globalen Verankerung kompetent analysieren zu können.

Und schließlich stellen diese Programme hochschulpolitisch eine besondere Form einer tatsächlich gleichberechtigten Partnerschaft zwischen einer alteingesessenen Hochschule aus dem globalen Norden und einer (1961 gegründeten) expandierenden Hochschule im globalen Süden dar – was sich unter anderem in gemeinsamen Programmplanungen und -evaluierungen sowie der fairen Teilung der Gebühreneinnahmen und deren Wiederverwendung für den Ausbau und die Absicherung der Programme ausdrückt. Die Programme knüpfen dabei erstens an die jüngeren Erfahrungen an, die Leipzig mit einem Netz afrikanischer Partnereinrichtungen im Feld der Global Studies (Stellenbosch, Yaoundé) gesammelt hat, und zweitens an die langjährige Kooperation Leipzigs mit anderen Universitäten in Äthiopien (Gondar, Adama), die teilweise auf die 1970er Jahre zurück geht. Der Partnerschaftsvertrag zwischen unserer Universität und Addis Abeba wurde 1977 geschlossen und 2003 den auf beiden Seiten den veränderten Rahmenbedingungen angepasst. Begleitet wird diese Initiative vom Engagement der Stadt Leipzig gegenüber ihrer Partnerstadt Addis Abeba: Bürgermeister Burkhard Jung wohnte 2015 im Rahmen der Feierlichkeiten zum zehnjährigen Bestehen der Partnerschaft der ersten Graduiertenfeier der Master-Absolventen in Addis Abeba bei.

/Text: Ulf Engel (Institut für Afrikanistik) und Matthias Middell (Centre for Area Studies), Leiter der gemeinsamen Studiengänge in Addis Abeba und Leipizg/

Ulf Engel leitet ein Teilprojekt im Sonderforschungsbereich 1199 „Verräumlichungsprozesse unter Globalisierungsbedingungen“, in dem die Forscher sich unter anderem mit der Afrikanischen Union und der Economic Community of West African States beschäftigen. Er berät die AU seit elf Jahren zu Fragestellungen im Bereich Friedenssicherung. Zudem ist er an unserer Universität verantwortlich für den Masterstudiengang „Global Studies with an emphasis on peace and security” <http://gesi.sozphil.uni-leipzig.de/masters/ma-global-studies-peace-and-security-in-africa/> am „Institute of Peace and Security Studies” in Addis Ababa und lehrt im PhD-Programm der Graduiertenschule „Global and Area Studies”.